Brüder und Kameraden! In dieser Stunde steht die gesamte deutsche Wehrmacht, stehen Millionen deutscher Männer und Frauen unter dem Zeichen des Kreuzes versammelt, um in einem Feldgottesdienst den Segen des Himmels für ihr Vaterland und den heute zusammengetretenen Reichstag zu erleben. Auch wir reihen uns diesen Millionen an und sammeln uns anbetend im Aufblick zum Kreuz unter das Wort der Heiligen Schrift: „Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis.“ Gott und unserem Erlöser die Ehre, das muß der Grundton sein, der sich durch unsere Feier hindurchzieht, wenn sein Segen auf unserem Vaterlande ruhen soll. Gott! Jesus Christus! Wissen wir, was wir mit diesem Namen aussprechen? Wo ist Gott? Nur im Leben und in der Wirklichkeit ist er da, als der Herr all unseren Tuns und Lassens – oder ist er nicht da. Gott aber ist Liebe. Nur wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Er sagt uns: Wer seinen Bruder haßt, der ist ein Totschläger. Darum – wo Haß ist, Haß von Mensch zu Mensch oder Haß von Volk zu Volk – da ist Gott nicht, und wenn sein Name immerfort auf aller Munde wäre!

Wir müssen uns heute von dem Propheten warnen lassen, der einst seinem Volke zurief: So spricht der Herr: Dies Volk ehrt mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir. Gott ist Wahrheit – wo Lüge ist, da ist Gott fern. Gott ist Gerechtigkeit – wo Unrecht und Gewalttat herrscht, da ist Gott nicht, auch wenn ihm Gottesdienste ohne Zahl veranstaltet werden. Gott ist Gnade und Barmherzigkeit. Wo Unbarmherzigkeit und Brutalität ist – da ist Gott nicht, auch wenn man stets von ihm reden würde. Gott ist nur da, wo sein Wille geschieht auf Erden wie im Himmel. Wo sein Name geehrt wird, da ist sein Segen.

Darum ist dieser heutige Tag für die deutsche Nation ein so furchtbarer Schicksalstag, weil der Name Gottes all überall in den deutschen Ländern heute angerufen wird. Wird Gott und unser Heiland nun auch Herr in Deutschland sein? Wird seine Herrschaft der Liebe und Wahrheit und Gerechtigkeit anbrechen – oder ist es umsonst, daß wir seinen Namen anrufen? Dann müßte unserem Volk das Wort gelten: Gott der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht. Gericht oder Gnade? Was bedeutet dieser heutige Tag? Die Entscheidung darüber liegt nicht nur bei den Männern, die an der Spitze unseres Volkes stehen, sie liegt auch in der Hand eines jeden Volksgliedes bis zu dem geringsten.

Gebe der Allmächtige, daß wir uns alle dieser Entscheidung bewußt wären. Der Erlöser und Heiland, zu dessen Kreuz wir aufblicken, muß in unseren Herzen seine Herrschaft antreten, wenn wir wollen, daß er in unserem Volke wirklich zur Macht kommen soll.

Beugt euch unter dem Kreuz und gebt dem König der Liebe die Ehre. Nur dann kann der Segen auf unserem Vaterland ruhn! Amen.

Die Umstände, unter denen der religiös-sozialistische Pfarrer Ludwig Simon (*1905) am 21. März 1933 seine Predigt im neueröffneten KZ auf dem Heuberg hielt, bedürfen der näheren Beschreibung, um die Dramatik der Situation zu verdeutlichen: Der Pressebericht trägt die Überschrift: „Im Lager Heuberg – Feldgottesdienst der Reichswehr und der SA. Das Konzentrationslager für Schutzhäftlinge.“ Angetreten waren die im Lager Heuberg stationierten Bataillone sowie die SA-Stürme des Schwarzwaldkreises und der SA-Sturm Stetten, „denen die Bewachung des großen Konzentrationslagers für politische Schutzhäftlinge obliegt“.

„Auch ein Kommando Schutzpolizei und eine Sigmaringer Stahlhelmgruppe war unter den langen grauen und braunen Reihen zu bemerken, die den Feldaltar auf dem Lagersportplatz umsäumten.“ Von Stetten selbst hatten sich verschiedene Vereine und die Feuerwehr eingefunden, und aus der Umgebung wollte eine große Anzahl von Gästen den „Nationalfeiertag“ zusammen mit der Reichswehr und der SA begehen. Der Lokalberichterstatter fährt fort: „Im Kontrast zu diesem feierlichen Bild, über dem die schwarz-weiß-rote Reichskriegsflagge stolz im Winde wehte, standen die großen Transporte von Schutzhäftlinge, die just um diese Zeit aus allen Gegenden Württembergs auf mehreren Omnibussen eintrafen, und die teilweise verdrossen, teilweise gleichgültigen Gesichter der Kommunisten, die aus den Türen der Wohnbaracken lugten.“ „Für das Publikum ist das Sammellager gesperrt. Nur anläßlich des Feldgottesdienstes [...] war Gelegenheit, die Gefangenen zu beobachten.“ „Der Bataillonskommandeur und Lagerälteste hielt eine „markige“ Ansprache und führte u.a. aus: „Unter der wiedererstandenen Flagge Schwarzweißrot sind heute die vom Volke gewählten Führer der Nation in Potsdam zusammengetreten. Für uns Soldaten hat diese Stunde eine besondere Bedeutung als ein Ausdruck der nationalen Einigung des ganzen deutschen Volkes. In dieser Weihestunde wollen wir uns, getreu unserem hohen Vorbild, dem Herrn Feldmarschall und Reichspräsidenten von Hindenburg, erneut geloben, unsere Pflicht bis zum äußerten zu tun und rastlos mitzuarbeiten am Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes.“ Ein dreimaliges begeistertes Hurra bekräftigte dieses Gelöbnis. Nach einem „schneidigen“ Vorbeimarsch belebten weitere Transporte von „Schutzhäftlingen“ das Lagerbild von neuem. Bis Dienstag waren gegen 400 Häftlinge eingetroffen. Eingerichtet war das Konzentrationslager zunächst für etwa 900 Mann. Feldgottesdienste dieser Art gab es am 21. März 1933 Tausende. Die Predigten, die bei diesem Anlaß gehalten wurden, paßten durchweg in das geschilderte Bild.

Die Predigt, die der 28jährige religiös-sozialistische Pfarrer Ludwig Simon an diesem Tag im Konzentrationslager Heuberg gehalten hat, ist dagegen anders. Die Reaktion der Badischen Landeskirche auf diese Predigt war, dass sie ihn aus Furcht vor SA-Protesten wenige Tage später „zu seinem Schutz“ in ein kleines abgelegenes Dorf im südlichsten Winkel der Landeskirche versetzte – anstatt sich die Botschaft des Evangeliums, vorgetragen durch ihren Pfarrer Ludwig Simon, zueigen zu machen.

Quelle: Friedrich-Martin Balzer: Kirche, Antifaschismus, Arbeiterbewegung: Erwin Eckert, Hans Francke, Ludwig Simon. In: Friedrich-Martin Balzer: Miszellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus. „Gegen den Strom“. Marburg 1990, S. 204-205. Die Genehmigung zur Veröffentlichung auf der Website des BRSD liegt durch den Inhaber der Urheberrechte vor. Zu Ludwig Simon siehe auch: Friedrich-Martin Balzer/Gert Wendelborn: „Wir sind keine stummen Hunde“ (Jesaja 56,10). Heinz Kappes (1893-1988). Christ und Sozialist in der Weimarer Republik, Bonn 1994, S. 122-129. Dort sind auch Fotos vom Gottesdienst im KZ abgedruckt.