Am 14. September sind die Wahlen zum Deutschen Reichstag.
Auch die christliche werktätige Bevölkerung muß sich entscheiden, welche Männer sie wählen, welcher Partei sie ihre Stimmen geben will.
Wahlbeteiligung ist Pflicht für jeden Christen, denn auch er ist verantwortlich am Schicksal des Volksganzen, in dem er lebt.
{nomultithumb}Christliche Volksgenossen, ihr könnt nur eine Partei wählen, die durch ihre Forderungen und Taten bewiesen hat, daß sie für die Mühseligen und Beladenen, für die ausgebeuteten Schichten unseres Volkes eintritt.
Ob ihr an der Maschine steht in der Fabrik, an der Arbeitsbank in der Werkstätte, ob ihr hinter dem Pfluge hergeht oder im Büro über euer Schreibpult gebeugt sitzt, ihr seid alle Arbeiter, die allein von dem Ertrag der Arbeit ihrer Hände oder ihres Geistes das Leben fristen müssen.
Ihr habt kein Kapital, dessen Zinsen euch und eure Kinder ernähren, ihr lebt nicht von der Arbeit anderer, sondern von den schlechten Löhnen, die man euch in der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung gibt, die darauf bedacht ist, den größtmöglichen Profit aus den Betrieben herauszuholen, gleichgültig, ob dabei Tausende von Arbeitern und Angestellten zugrunde gehen und in ein freudloses Dasein hineingezwungen werden.
Ihr kennt die grausame Not der Arbeitslosigkeit.
Wer kämpft allein und entschlossen gegen diese Not? Die sozialistischen Parteien!
Wer tritt ein für den Rechtsanspruch der Arbeitslosgewordenen auf ausreichende Unterstützung? Die sozialistischen Parteien!
Wer sorgt dafür, daß die Arbeitszeit verringert, die Arbeitsweise vernünftig, das Arbeitsrecht ausgebaut wird? Die sozialistischen Parteien!
Wer tritt ein für die Invaliden der Arbeit, die Witwen und Waisen, für den Schutz der Unmündigen? Die sozialistischen Parteien!
Wenn ihr alt geworden seid, abgearbeitet, invalide geworden seid, dann habt ihr einen ruhigen Lebensabend verdient, dann sollt ihr euch nicht sorgen müssen um das tägliche Brot.
Die Witwen und Waisen der werktätigen Bevölkerung und gerade sie, die im größten Elend sind, sollen nicht verlassen sein. Das Volksganze, dem ihr, dem eure Männer und Väter mit ihrer Arbeit gedient haben, muß die alt und krank Gewordenen versorgen.
Die politische Vertretung der Besitzenden, die bürgerlichen Parteien, kümmern sich nicht um euch!
Nur die sozialistischen, die „gottlosen“ Parteien sorgen dafür, daß die selbstverständliche Christenpflicht des Staates, der Gesellschaft, an den Schwachen und Armen erstgenommen wird.
Aber die bürgerlichen Parteien geben alle vor, die eigentlichen Schützer des Christentums und der christlichen Kirchen zu sein! Sie reden fromm und tun so, als sei ihnen christliche Art Voraussetzung aller Lebensgestaltung. Aber ihre Taten sehen anders aus, ihre Absichten sind direkt widerchristlich. Sie wollen die heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufrechterhalten, sie ist nach ihrer Ansicht sehr wohl vor dem Gewissen eines Christen zu rechtfertigen. Sie verfälschen das Evangelium und die Aufgabe der Kirche, um beide in den Dienst ihrer selbstsüchtigen Interessenpolitik stellen zu können. Wir aber fordern euch auf zum Protest gegen die bestehenden unchristlichen Zustände in Wirtschaft und Gesellschaft.
Ein rechter Christ muß ein Revolutionär sein, denn alles, was er im öffentlichen Leben sieht, was er als Grundlage der heutigen Verhältnisse erkennen kann, ist antichristlich.
Oder haltet ihr es für christlich, daß die Schätze der Erde, die Gott allen gegeben hat, damit durch gemeinsame Arbeit für alle ein menschenwürdiges Leben gesichert sei, daß der Grund und Boden, die Rohstoffe, Kohlen und Erze, die aus der kollektiven Arbeit gewordenen Werte in den Fabriken und Verkehrsmitteln, die Geldsummen in Banken und Kassen Einzelnen gehören, die damit machen können, was sie wollen, und zur Unterdrückung der breiten Massen benützen?
Haltet ihr es für christlich, daß die einen in Palästen wohnen, die anderen aber in Löchern und Spelunken?
Haltet ihr es für christlich, daß die Kinder der Besitzenden die bestmögliche Ausbildung aller ihrer Fähigkeiten empfangen, die Kinder der arbeitenden Massen aber in Stadt und Land verkümmern müssen an Leib und Seele, Kinder, denen Gott auch Fähigkeiten und Kräfte gegeben hat, die nicht verderben sollen?
Haltet ihr es für christlich, daß über 23 Millionen Lohn- und Gehaltsempfänger im Monat kaum 150 Mk. (!) für den Aufwand ihrer oft vielköpfigen Familie zur Verfügung haben, auch wenn sie voll arbeiten – wie das aus einer amtlichen Statistik erwiesen ist – und daß zur gleichen Zeit an die Aufsichtsräte und Aktionäre großer Betriebe, die Arbeiter abbauen und „rationalisieren“, Gelder verschenkt werden, von denen viel hunderttausend Arbeiterfamilien leben könnten.
Wer aber kämpft dafür, daß die für das Leben aller notwendigen Rohstoffe und Betriebsmittel aus der Willkür der Reichen in die verantwortliche Verwaltung des Volksganzen überführt und dadurch allen, die arbeiten wollen, ein menschenwürdiges Dasein gesichert sein wird?
Wer kämpft gegen die Wohnungsnot – für gesunde Massenwohnungen?
Gegen die Kindernot – für Kinderhilfe?
Gegen Völlerei und Luxus – für das tägliche Brot aller Werktätigen – für die gesicherte Existenz aller Schaffenden?
Sie allein wollen ernsthaft die Versöhnung der Völker, den Frieden auf Erden, die Verbrüderung der Nationen.
Es war die Geld- und Ländergier, die Macht- und Ruhmsucht des Bürgertums in allen Ländern Europas und der neuen Welt, die eure Väter und Söhne, eure Brüder und Freunde ermordet hat im Weltkrieg.
Du sollst nicht töten!
Wollt ihr es als Christen nicht ernst nehmen mit diesem Gebot? Wollt ihr nicht dafür sorgen, daß dies der letzte Krieg gewesen ist, an dem unser Volk teilnimmt?
Wenn ihr aber eine Gewähr dafür haben wollt, daß Friede sei für unser Volk, Friede in Europa, Friede in der Welt, dann müßt ihr den politischen Einfluß der sozialistischen Parteien stärken. Nur die Verständigung, die Verbrüderung der arbeitenden Massen aller Völker kann den Frieden vorbereiten und sichern.
Christliche Männer und Frauen, aus allen diesen Gründen müßt ihr dafür sorgen, daß auch bei der bevorstehenden Reichstagswahl am 14. September die sozialistischen Stimmen zunehmen!
Gerade jetzt müßt ihr wachsam sein.
Die bürgerlichen Parteien setzen alles daran, eine Mehrheit im neuen Reichstag zu bekommen, die sie in den Stand setzt, ihre gegen das Wohl der werktätigen Bevölkerung gerichteten politischen Maßnahmen durchzusetzen.
Bei den gegenwärtigen politischen Entscheidungen, auch bei diesem Wahlkampf um die neue Zusammensetzung des Reichstags, handelt es sich nämlich im besonderen darum, daß die kapitalistisch-bürgerliche Front von Hitler bis zu Brüning und zu der Staatspartei des Herrn Arthur Mahraun durch Einschränkung und Aufhebung sozialpolitischer Gesetze (Arbeitslosenversicherung, Kriegsbeschädigtenfürsorge, Kranken- und Invalidenversicherung) den Lebensraum der Arbeiter und Angestellten einengen wollen. Dadurch sollen die wirtschaftlich Abhängigen gezwungen werden, unter den schlechtesten Bedingungen und für den geringsten Lohn ihre Arbeitskraft zu verkaufen und dabei langsam, aber sicher zugrunde zu gehen.
Laßt euch nicht irre machen durch die „christlichen“ Aushängeschilder der bürgerlichen Parteien. Nicht nur die Deutschnationale, nicht nur die Deutsche Volkspartei, nicht nur die Konservative Volkspartei und wie sie sonst alle heißen, sondern auch die sich besonders christlich geben, Zentrumspartei, die Bayerische Volkspartei, der „Christlich-soziale“ Volksdienst, sind trotz ihres triefenden „Christentums“ auf der Seite der bürgerlichen Macht- und Interessenpolitik, auf Seiten der Reaktion!
Die werktätige Bevölkerung hat von allen diesen Parteien nichts zu erwarten.
Laßt euch nicht dadurch ins Boxhorn jagen, daß die bürgerlichen Agitatoren behaupten, man könne als Christ kein Sozialist sein und keine Sozialisten wählen, weil die Sozialisten antichristlich, gottlos seien! Laßt sie reden, was sie wollen. Das Christentum zeigt sich nicht in frömmelnden Phrasen, sondern in helfender Tat.
In der sozialistischen Arbeiterschaft aber, in ihrem politischen und wirtschaftlichen Kampf ist mehr von christlicher Verantwortung zu erkennen, als in der oberflächlichen Frömmelei bürgerlicher Kirchlichkeit.
Vertraut uns, wenn die euch durcheinander machen wollen.
Wir sind seit Jahren, seit Jahrzehnten in den sozialistischen Parteien organisiert und wir sind Christen geblieben, ja wir haben gemerkt, daß wir erst jetzt, seitdem wir auch teilnehmen an den Kämpfen der Arbeiterklasse um eine bessere und gerechtere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, mit gutem Gewissen Christen bleiben können. Wir müssen jetzt doch wenigstens nicht mehr das Bewußtsein haben, Tag für Tag und bei jeder öffentlichen Stellungnahme, daß wir durch unsere Taten unsere christliche Gesinnung verraten.
Wir haben jetzt erst wieder die Hoffnung, daß einmal auch in der Welt, in der menschlichen Gesellschaft, der uns in Christus geoffenbarte Wille Gottes Geltung haben wird.
Man kann nicht zwei Herren dienen!
Ihr müßt euch entscheiden. Wir leben in Deutschland, wie überall, wo die kapitalistischen Besitzverhältnisse herrschen, in einem Klassenstaat. Das Gerede von der
Volksgemeinschaft ist leider leeres Geschwätz.
Eine Volksgemeinschaft wird es erst in der sozialistischen Ordnung, in der klassenlosen Gesellschaft geben. Heute aber sehen wir auf allen Gebieten des Lebens eine Verschärfung des Kampfes zwischen den Interessen der einzelnen Klassen. Die Besitzenden stehen gegen die Armen, die Gebildeten gegen die Ungebildeten, die Vornehmen gegen die Geringen. Die Mächtigen wollen Gewalt ausüben und die Geldherren wollen groß sein, die Armen unterdrücken.
Wir aber, christliche Brüder und Schwestern, sollen alle auf der Seite der Mühseligen und Beladenen stehen, zu denen sich Jesus Christus einst gehalten hat, die unter der heutigen ungerechten Ordnung leiden müssen und im Elend verkommen.
Das Zentrum will euch von der Partei der arbeitenden Massen wegziehen. Damit die bürgerlichen Gruppen um so leichter mit der Arbeiterklasse fertig werden, suchen sie die Einheit der Werktätigen unmöglich zu machen unter dem Vorwand, ein Katholik könne nur in konfessionell katholischen Organisationen sein und nur ihnen seine Stimme geben!
Habt ihr schon einmal davon gehört, daß es konfessionelle Unternehmerverbände gibt? Sicher nicht, es gibt keine. Aber die Arbeiter versucht man aus „konfessionellen“ Gründen aus der Front der Parteien, ja die allein ihre Interessen vertreten, aus den sozialistischen Parteien, fernzuhalten.
Wir aber sagen euch, es ist eine Lüge, daß ein Sozialist kein guter Christ sein kann, daß er seinen Glauben aufgeben müsse.
Wir sind Christen und Sozialisten, bei uns sind Tausende von guten Katholiken, die sich endgültig frei gemacht haben von der politischen Bevormundung des Zentrums, dieser Partei der katholischen Unternehmer und der katholischen Hierarchie.
Laßt euch nicht verdummen durch die Parole: „Evangelischer, wähle evangelisch, wähle den Christlich-Sozialen Volksdienst!“
Das gleiche Manöver wie beim Zentrum. Man will euch aus der Front der Arbeiterklasse, wohin ihr gehört, loslösen, um die Front der sozialistisch kämpfenden Massen zu schwächen.
Kleinbürgerliche Idealisten, Pfarrer, die von der Wirklichkeit des harten Lebens nichts wissen, kleine Beamten, die sich gern in den Vordergrund stellen wollen, halbverachtete Parlamentarier der Deutschnationalen Partei suchen mit Hilfe kirchlicher Vereine und Verbände die evangelischen Christen von der Masse der um eine bessere Zukunft kämpfenden zu trennen!
Gebt diesen Leuten keine Stimme, es ist vergeudete Kraft, sie zu unterstützen. Sie sind politische Kinder! Hört nicht auf sie, ordnet euch ein in die geschlossene Front aller Werktätigen.
diesen Hetzaposteln und Haßpropheten. Sie sind weder national, denn sie führen unser Volk ins Unglück, noch sind sie Sozialisten, denn sie wollen im Grunde nur die ungerechte kapitalistische Gesellschaft vor dem Sturm der Masse retten. Mit der Phrase: „Die Juden sind an allem schuld“ wollen sie die Schuld des „christlichen“ Militarismus und des Kapitalismus verdecken. Sie arbeiten mit allen Mitteln auf einen blutigen Bürgerkrieg hin.
Wollt ihr den Bürgerkrieg?
dann wählt diese Schreier, die nichts anderes sind als die bezahlte Angriffstruppe der Kapitalisten zum Bürgerkrieg.
Noch einmal:
Nach unsere Auffassung müßten sogar auch alle Christen, die wirklich an Gott den Vater aller Menschen, der will, daß allen geholfen werde, glauben, ohne Rücksicht auf Vermögen und Stand sich aus innerster Verantwortung zu dem Kampf der Unterdrückten und Ausgebeuteten bekennen und darum sozialistisch wählen.
Jesus Christus war sicher nicht der erste Sozialist; aber wer aus seinem Geiste und aus seiner Art heute im 20. Jahrhundert im öffentlichen Leben arbeiten und kämpfen will, der kann nur Sozialist sein.
Dieser Appell an Christinnen und Christen, bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 die sozialistischen Parteien zu wählen, erschien im Sonntagsblatt des arbeitenden Volkes, der damaligen Wochenzeitung des BRSD.