Ein Wort der religiös‑sozialistischen Internationale über Nationalismus und Faschismus an die europäische Christenheit.

Als Vertreter einer Bewegung, zu deren Zielen die Neuordnung der Gesellschaft im Geiste Christi und aus den Kräften des Reiches Gottes gehört, fühlen wir uns durch die steigende Welle des Nationalismus und Faschismus in ihren verschiedenen Formen und die dadurch vermehrte Gefahr des Bürgerkrieges und Völkerkrieges tief beunruhigt und in unserem Gewissen verpflichtet, darüber ein Wort der Mahnung und Bitte besonders an die christlichen Kreise zu richten.

Wir bemühen uns gewissenhaft, das Recht und den tieferen Sinn der nationalistischen und faschistischen Bewegung nicht zu verkennen. Sie ist sowohl durch die geistige wie durch die wirtschaftliche Not der heutigen Weltlage erzeugt und ein neues Symptom der Unhaltbarkeit unserer Zustände. [...] Unter solchen Gesichtspunkten dürfen wir auch in ihr eine Mahnung zu tieferer Besinnung auf die heiligen und ewigen Fundamente der Gesellschaft, wie alles Lebens überhaupt, erblicken.

Aber im bewußten oder unbewußten Streben noch einer Erneuerung des Lebens von diesen Fundamenten her verirren sich Nationalismus und Faschismus auf einen Weg, der weit von ihnen weg in Irrtum und Fluch gerade der Welt führt, die es zu verlassen gilt. Sie wissen keine ernsthafte Hilfe für die materielle Not. Ihre wirtschaftlichen Vorschläge sind größtenteils unreif und rein demagogisch, dazu von äußerster Dürftigkeit, und ihr Sozialismus vollends ist bei den wichtigsten Führern bloß ein Köder zur Einfangung der Massen für andere Zwecke. Darum fehlen ihr für einen organischen Aufbau der durch das kapitalistische Lebenssystem mechanisierten, atomisierten und mammonisierten Gesellschaft ebenso die wirtschaftlichen Voraussetzungen, wie ihr die geistigen fehlen und ist der Berufsstaat wie die Volksgemeinschaft und die Überwindung des Klassenkampfes auf diesem Boden bloße Fiktion. Eine gewaltsame Erzwingung dessen, was nur organisch wachsen könnte, raubt dem faschistischen Versuch vollends alle Wahrheit. Die Demokratie wird durch eine Demagogie, die in ihrer Verbindung von Roheit und Raffiniertheit alles bisher Dagewesene überbietet, schwerlich eines Besseren belehrt. Auch die Diktatur wird damit bloß zur Krönung der Demagogie. Kein ernsthafter Mensch kann darin die Lösung des Problems der Autorität und des Führertums erblicken [...]. Sie schafft auch nicht echte Ordnung, sondern bloß Scheinordnung, auf die erst recht das Chaos folgt. Und ebensowenig vermögen der Nationalismus und Faschismus die Versumpfung der heutigen Zivilisation zu überwinden. Abgesehen davon, daß die Diktatur selbst erfahrungsgemäß eine Quelle der schlimmsten Korruption wird, fehlt es gerade dieser Bewegung, die den Naturtrieb vergöttert, wieder an den geistigen Voraussetzungen für eine solche Reinigung der Welt, wie es ihr an den wirtschaftlichen fehlt, da sie die Hauptquelle dieser Versumpfung, die kapitalistische Ordnung, nicht ernsthaft abgraben will und kann. Und schließlich versagt sie gerade auch da, wo sie ihr Zentrum hat: der Nationalismus, der das Volkstum erhalten und befreien will, zerstört es vielmehr, nach dem Worte, daß sein Leben verliert, wer es – egoistisch – erhalten will. Vollends würde die nationalistische Außenpolitik die europäischen Völker nicht zur Befreiung, sondern in Chaos und Untergang führen. Sie ist im Angesicht der Wirklichkeit, mit der wir zu rechnen haben, aus Unwissenheit entstandene, romantische Utopie, ja gefährliche Kinderei, wenn nicht gewissenlose Demagogie.

Was uns aber besonders beunruhigt, ist der unerträgliche Widerspruch, worin die Bewegung mit all jenen geistigen Mächten gerät, die wir meinen, wenn wir Christus sagen. Dies tritt besonders an ihrem Nationalismus zutage. Dieser wird bei ihr zuletzt zu einer fanatischen Religion völkischer und rassenhafter Selbstvergottung, die nicht nur aller geschichtlichen Wahrheit und ernsthafteren Wissenschaft widerspricht, sondern auch in ihrem Wesen mit Christus wahrhaftig nichts mehr zu tun hat, vielmehr ganz offenkundig von dem einen Gott und Vater aller Menschen zu den vielen Volksgöttern des Heidentums in seiner schlimmsten Form zurückführt und am Ende zu einem dämonischen Kultus des Moloch entartet. Sollte unser Christentum, sollten unsere Kirchen so weit von der Empfindung der christlichen Grundwahrheit abgekommen sein, daß sie das nicht mehr sähen? Dann wäre die Stunde ihres Unterganges gekommen. Wie kann sich ein Jünger Christi zu einem Rassenhochmut bekennen, der die Mitmenschen anderer Völker oder Rassen von aller höheren Kultur ausschließt, im besonderen zu der geistverlassenen Roheit des üblichen Antisemitismus, wenn noch das Apostelwort gilt: „Da ist nicht Jude noch Grieche, nicht Knecht noch Freier, nicht Mann noch Weib, sondern sie sind alle Eins in Christus Jesus“? Gewiß hat auch für einen Jünger Christi alle Natur, als Gottes Schöpfung, ihr Recht [...], aber die Natur muß durch Kräfte, die über sie hinausgehen und die im Kreuze ihren höchsten Ausdruck finden, von den Dämonen des blinden Triebs erlöst werden und über Volk und Vaterland steht das Reich Gottes mit seinen heiligen Ordnungen. Diesen gehorchend, dem Reiche Gottes dienend, werden sie selbst gesund und groß, sich selbst dienend werden sie eine Beute der Dämonen, verbreiten Fluch und gehen selbst an diesem Fluch zugrunde.

Man darf sich nicht durch den christlichen Schein der Bewegung über ihren wahren Charakter täuschen lassen. Abgesehen davon, daß das christliche Bekenntnis in ihrem Munde zugestandenermaßen oft bloß wieder Demagogie ist, also schlimmster Mißbrauch des Heiligen zu fremden Zwecken, so liegt doch offen zutage, daß sie das Kreuz Christi unter der Hand in das Hakenkreuz verwandelt, also das Sinnbild der vergebenden und rettenden Liebe Gottes für Alle in das Zeichen selbstgerechter und hochmütiger Ausschließlichkeit, ja sogar des Hasses und der Gewalt. Ist das nicht die schlimmste Lästerung des Kreuzes, die man sich denken kann? Ihr Vertreter der Sache Christi, solltet Ihr das nicht sehen? Solltet Ihr nicht die ungeheure Gefahr für die Sache Christi sehen, die in dieser Verwechslung liegt? Wenn der Gewaltgedanke, der mit diesem Götzendienst des Nationalismus aufs engste verbunden ist, mit einer noch nie dagewesenen Frechheit sein Credo in die Welt schreit, wer wäre so abgestumpft, um ihn nicht als freche Gottlosigkeit zu empfinden? Und der cäsaristische Despotismus, der den Staat zum Gotte macht, der nichts neben sich gelt läßt, der keine Regung des selbständigen Gewissens duldet und seine Gegner mit Gewalt und Mord unterdrückt, wie kann er neben Anspruch auf die Freiheit des Christenmenschen bestehen, die das Palladium des Protestantismus und neben dem Anspruch auf die Herrschaft Christi über alles Leben, die der Sinn des Katholizismus ist?

Erwachet, die Ihr Euch durch den nationalistischen und faschistischen Trug und Rausch habt verblenden lassen, werdet des Abgrunds gewahr, vor dem Ihr steht; erwachet zur Wahrheit Christi, kehret von Cäsar und Wotan zu Christus, vom Lektorenbündel zur Dornenkrone des Menschensohnes und vom Hakenkreuz zum wirklichen Kreuze zurück, dem allein der Sieg über die Welt verheißen Ist. Der Bund des Christentums mit dem Nationalismus und Faschismus ist Abfall von der Wahrheit Christi und ist eine größere Gefahr, als jede offene Feindschaft gegen seine Sache.

Wenn diese Bewegung also auf der einen Seite viel Recht und Wahrheit enthält, auf der andern aber diese in Torheit, Demagogie und dämonischer Verirrung verloren geht, so ist offenbar die Aufgabe gestellt, sie auf bessere Weise zu verwirklichen. Diesen besseren Weg erblicken wir in einer Umkehr von den Götzen einer in Blut, Chaos und Fluch versinkenden Welt zu jenem lebendigen Gott, dessen Herz und Wille uns in Christus kund wird. Er ist die Autorität, auf welcher eine Gesellschaft ruhen muß, die Bestand haben soll, er aber auch die Freiheit. Die wirtschaftliche wie die geistige Not, der Mangel am Nötigsten neben dem Überfluß an allen Gütern, die Arbeitslosigkeit neben der Fülle der Aufgaben, die rücksichtslose und entseelende Rationalisierung der Arbeit, die Mechanisierung, Atomisierung und Mammonisierung des Lebens mit aller daraus folgenden Verderbnis, Verflachung, Versumpfung des ganzen Menschenwesens kann nur überwunden werden durch eine Umkehr vom Mammon zu Gott, von der Ware zur Seele, vom Profit zum Menschen, von der Konkurrenz zum gegenseitigen Dienst von der Entartung alles Lebens in Götzendienst zu den erlösten ursprünglichen Ordnungen der Schöpfung. Auf diesem Wege leuchten wieder, verjüngt, die wahren und ewigen Ziele auf, für die es sich lohnt, das Leben einzusetzen. Auf diesem Wege allein kann es wieder zu wirklicher Volksgemeinschaft, sinnvoller Arbeit, neubeseelter Kultur kommen. Auf der Grundlage einer solchen sozialen und religiösen Erneuerung, eines neuen Glaubens und einer neuen Liebe, die zu Gerechtigkeit werden, kann eine neue Demokratie und ein neues Führertum entstehen. Hier verbindet sich die wahre Freiheit mit wahrer Ordnung. Die Formen der Demokratie mögen sich wandeln müssen, das Prinzip bleibt eine notwendige Erfüllung der Botschaft von der Gotteskindschaft und Bruderschaft des Menschen. Der Weg zu einer neuen Freiheit der Völker aber führt gerade über eine Abwendung von Gewaltglauben und nationalistischem Egoismus zum Glauben an eine Völkergemeinschaft, über welcher Gottes heiliges Recht für Alle waltet aus dem eine Friedensordnung der Völkerwelt fließt, in deren Schutz alles Volkstum erst recht aufblühen kann. Diese Wendung bildet die Voraussetzung für eine wirkliche Liquidierung des Weltkrieges wie für die Überwindung alles Krieges, Bürgerkrieges wie des Völkerkrieges. Nicht die Niederstampfung der sozialistischen Arbeiterbewegung und die Wiederaufrichtung gestürzter Götterbilder ist der Sinn der Stunde und unsere Hilfe, sondern eine tiefe Verbindung der Kräfte der sozialen mit denen der religiösen Erneuerung zu einer Kraft und zu einem Strom.

Die Lage Europas, die durch den sich zuspitzenden Kampf besonders zwischen dem Faschismus und dem Sozialismus gekennzeichnet ist, bedeutet also eine gewaltige Mahnung an die Christenheit zur Besinnung auf sich selbst, zur Umkehr von falschen Wegen und zu helfender Tat. Besonders die furchtbaren Tatsachen der Arbeitslosigkeit und des drohenden Mangels am Nötigsten bei einem großen Teil der Volksgenossen mahnen zu großen und raschen Entschlüssen. Sonst wird Weihnachten zur Lüge. Nicht mit den Göttern der bloßen Natur zu altem Fluch zurück, sondern mit Christus zu Gott und dem Menschen vorwärts geht der Weg der Rettung.

Der Internationale Ausschuß der religiösen Sozialisten.
Der Präsident: Dr. L. Regaz, Zürich.

Für Deutschland: Erwin Eckert, Pfarrer, Mannheim. Für England: Fred. Hughes, Parlamentsmitglied, London. Für Frankreich: Professor Paul Passy, Paris, Bourg‑la‑Reine, Seine. Für Holland: Dr. W. Banning, Barchem. Für Österreich: Otto Bauer, Redakteur, Wien. Für Schweden: J. M. Ljungner, Oerebro. Für die Schweiz: Dr. L. Ragaz; Hélène Monastier (Sekretärin).